Nichts wirbelt in der Welt der Klimapolitik gerade so viel auf, wie das Borkum-Thema. Am Wochenende waren auf Borkum 2.000 Menschen deshalb demonstrieren. Doch was ist da eigentlich los? Um es kurz zu machen: Vor der ostfriesischen Nordseeinsel Borkum soll eine neue Erdgasplattform gebaut werden. Das ist nicht nur ziemlich schlecht für das Klima, denn dabei würden nicht nur potentiell bis zu 60 mio t CO2 gefördert, sondern auch für die delikate Natur und Umwelt im Naturschutzgebiet und UNESCO-Weltkulturerbe Wattenmeer drohen schwere Schäden. Hier findet ihr alles wichtige zu diesem Projekt, in der einzigen Gliederung, die Sinn macht: Wie im MrWissen2Go-Video. Mirko, falls du das liest, unsere Freigabe hast du, ein Video zu machen!
Was ist eigentlich los?
Das Fördergebiet, aus dem das Erdgas gepumpt werden soll, liegt genau auf der Grenze zwischen der Niederlande und Deutschland, was die Bürokratie dieses Projektes etwas komplizierter macht. An jeder Genehmigung sind mindestens zwei Regierungen beteiligt und es wird vor mindestens zwei Gerichten verhandelt. Von niederländischer Seite hat das Projekt schon alle notwendigen Genehmigungen, die deutschen stehen noch aus. Konkret hängt die Zukunft des Projekts von der Rot-Grünen Landesregierung in Niedersachsen ab.
Eine Genehmigung muss unter anderem das vom Grünen Christian Meyer geführte niedersächsische Umweltministerium erteilen. Der hatte sich zuletzt kritisch geäußert und ist eigentlich ein Gegner des Projekts. Außerdem ist das von SPDler Olaf Lies geführte niedersächsische Wirtschaftsministerium beteiligt. Der wiederum zeigte sich für das Projekt offener. Der SPD-Ministerpräsident Niedersachsens Stephan Weil hat sich zuletzt nicht geäußert, stand aber lange hinter dem Projekt. In jedem Fall: Der Bau und die Inbetriebnahme der Plattform braucht einen Kooperationsvertrag zwischen Deutschland und den Niederlanden - und das ist Sache der Bundesregierung, konkret des Wirtschaftsministeriums des Grünen und Vizekanzlers Habeck und des Außenministeriums von Annalena Bearbock, ebenfalls Grüne.
Das wiederum nutzt die Landesregierung in Niedersachsen geschickt aus, um die Verantwortung von sich - auf die Bundesregierung zu schieben. Warum auch Entscheidungen auf Landesebene treffen, wenn es die Bundesregierung gibt…
Was sagen die Befürworter?
Der Konzern “One Dyas” will die Erdgasplattform bauen und argumentiert - zur Überraschung von absolut niemanden - am lautesten für das Projekt. Der Konzern hat in die Plattform schon über 300 Millionen investiert, ungeachtet davon, dass es noch keine offizielle Genehmigung dafür gab. Deswegen wartet der Schwimmkran gerade kurz hinter der niederländischen Grenze, denn die rechtsgerichtete Regierung dort hat dem Projekt schon zugestimmt. Für jeden weiteren Tag, den das Projekt verzögert wird, so gibt der Konzern an, entstünden weitere Schäden in Millionenhöhe.
Die 300 Millionen will sich der Konzern als Schadensersatz vom Land Niedersachsen zurückholen - heißt es in einem Erpresserschreiben von One Dyas. Dass das jedoch Erfolg hat, ist unwahrscheinlich. In jedem Fall: Die Plattform wird gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen, denn sollten die Genehmigungen erteilt werden, hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) angekündigt, zu klagen. Die letzte Klage der DUH hatte Erfolg: in der Konsequenz wurde die Verlegung eines Kabels verhindert, das die Plattform mit Strom versorgen sollte - übrigens von einem Windpark.
Ein weiteres Argument, das der Konzern regelmäßig vorbringt, ist die Energiesicherheit. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die energiepolitische Situation hierzulande deutlich verändert. Landes- und Bundesregierung sind unter Zeitdruck schnell neue Gasdeals eingegangen, um russisches Gas zu ersetzen. Zum Beispiel ein kontroverser Gasdeal mit Katar oder mit den USA, die ihren Gasfeldern mit Fracking, einem chemikalischen Verfahren zur Gasgewinnung, großen Umweltschaden zufügen.
Aus dieser Zeit stammt auch ein Versprechen von Olaf Lies, damals niedersächsischer Umwelt-, heute Wirtschaftsminister und Stephan Weil, Ministerpräsident. Wie das Schreiben des Konzerns One Dyas bestätigt, haben sich im Februar 2023 die beiden SPD-Politiker Lies und Weil mit One Dyas-Konzernchef Chris de Ruyter van Steveninck zum Abendessen getroffen. Damals wurde wohl zugesichert, die Landesregierung „unterstützt [das Projekt und wird] alles erdenkliche tun, um das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.”
Dabei hat sich die Gasversorgungssituation seitdem verändert: Die Bundesregierung hat andere Vereinbarungen geschlossen und unsere Gasspeicher sind voll. Und sowieso: Das Gas aus der Plattform würde nur einen Bruchteil der deutschen Gasversorgung ausmachen, unter 1%.
Was sagen die Gegner*innen?
Die größte Kritik kommt wohl von Umwelt- und Klimaschutzverbänden. Dabei am wichtigsten: Bau und Betrieb der Plattform hätte enorme Auswirkungen auf die Umwelt vor Ort. Dabei ist unklar, welche Folgen genau auftreten würden, aber bei ähnlichen Projekten kam es zu Bodenabsenkungen, Erdbeben und Wasserverunreinigungen. Fest steht: Der Bau und Betrieb der Plattform würde, z.B. durch die Verlegung eines Kabels, die jetzt gerichtlich gestoppt wurde, Unterwasserriffe beschädigen und dem Weltkulturerbe Wattenmeer irreparablen Schaden zufügen. Das hat die UNESCO, die den Weltnaturerbe-Status ausspricht, längst bemerkt und droht an, den Status als UNESCO Weltnaturerbe zurückzuziehen, sollte in der Nordsee nach Erdgas gebohrt werden. Die Aberkennung des Status wäre ein großer Schlag für die Region, in der Tourismus einer der größten Wirtschaftsfaktoren ist. Das Wattenmeer ist ein ziemlich einzigartiger Lebensraum, der Heimat für Austernfischer, Robben oder Wattwürmer ist. Seit Jahrzehnten ist das Meer die Lebensgrundlage für alle Küstenbewohner*innen und deshalb ist dieser Eingriff nicht nur auf Borkum ein kontroverses Thema.
Hinzu kommt die fatale Signalwirkung, die so ein fossiles Projekt hätte. Eigentlich wurde sich in den Koalitionsverträgen auf Landes- und Bundesebene darauf geeinigt, keine neuen fossilen Projekte zu genehmigen. Dieses Versprechen ist zwar nicht rechtlich bindend, und trotzdem hätte es erhebliches Potential, zum politischen Skandal zu werden. Denn wozu Koalitionsverträge, wenn sie sowieso gebrochen werden. Wie will man anderen Ländern vorschreiben, aus Fossilen auszusteigen, selbst aber weiter in sie zu investieren?
Die Politische Dimension
Der Konflikt um den Bau der Gasplattform birgt in der Ampelkoalition auf Bundesebene durchaus Sprengstoff. Aus nachvollziehbaren Gründen sind die Grünen, gemeinhin als Gegner*innen von fossilen Projekten bekannt, entschiedene gegen das Projekt, dazu gehört zum Beispiel der niedersächsische Umweltminister Meyer. Die SPD hat dazu allerdings keine so klare Haltung. Die Landespolitiker Lies und Weil haben sich in der Vergangenheit für das Projekt ausgesprochen. Dieser Riss zieht sich womöglich auch durch die Ampelkoalition auf Bundesebene - mit dem Unterschied, dass hier beide Ministerien, die den Bau und Betrieb der Plattform genehmigen müssen, grüne Minister*innen hat. Trotzdem ist es fraglich, ob die SPD (und FDP) nicht im Kabinett Druck auf die grün-geführten Ministerien ausüben. Ein Anzeichen dafür, dass im Hintergrund eindringlich verhandelt wird, ist die Stille Bearbocks und Habecks zu diesem Thema bisher.
Am Ende müssen sich die Entscheidungsträger*innen vor die einfache Wahl stellen: Wollen sie den kurzfristigen Profit, das Gas, die Emissionen, oder wollen sie Umwelt, Zukunft und Klima?
Quellen: